Ein Autofahrer war beim Rechtsabbiegen mit einem vorfahrtsberechtigten Fahrzeug kollidiert. Obwohl die Lage eindeutig erschien, fällte das Gericht ein für den Vorfahrtsberechtigten unbefriedigendes Urteil. Was dies im Einzelnen für beide Verkehrsteilnehmer bedeutet.

Das Vorfahrtsrecht erstreckt sich grundsätzlich auf die gesamte Fahrbahnbreite. Ist dort jedoch ein Fahrer ohne Not auf der Fahrbahnmitte gefahren, kann ihn im Falle eines Unfalls eine Mithaftung aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs treffen. Das entschied das Oberlandesgericht Hamm in einem Urteil (I-7 U 93/21).

Im Bereich einer Einmündung galt die Vorfahrtsregel „rechts vor links“. Dort bog ein Mann mit seinem Pkw nach rechts ab. Dabei kollidierte er mit dem sich von rechts nähernden Auto. Dieses hatte er wegen parkender Fahrzeuge nicht rechtzeitig wahrgenommen.

In der Straßenmitte gefahren

Trotz seiner Vorfahrtsverletzung hielt der Pkw-Fahrer den Fahrer des Wagens, mit dem er kollidierte, am Unfall mitverantwortlich. Denn dieser war zum Zeitpunkt der Kollision, ohne dass es dafür einen verkehrstechnischen Grund gab, in der Straßenmitte gefahren.

Das hielt der beklagte Vorfahrtsberechtigte für unerheblich. Sein Vorfahrtsrecht habe sich auf die gesamte Straßenbreite erstreckt. Bei eingeschränkter Sicht hätte sich der Kläger mit seinem Pkw langsam in den Einmündungsbereich hineintasten müssen.

Bei eingeschränkter Sicht vorsichtig herantasten

Dies sahen die Richter des Hammer Oberlandesgerichts zwar auch so, gaben der Klage dennoch zum Teil statt.

Nach Ansicht des Gerichts darf ein Wartepflichtiger nur dann in eine Vorfahrtsstraße einbiegen, wenn er sicher sein kann, dass der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer weder gefährdet noch wesentlich behindert. Ist Ersterer in seiner Sicht eingeschränkt, müsse er sich vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hineintasten.

Unfallverursacher eindeutig, Haftung dennoch geteilt

„Ein Hineintasten liegt jedoch nur dann vor, wenn der Wartepflichtige bis zum Übersichtspunkt durch zentimeterweises Vorrollen heranfährt und dabei jederzeit anhalten kann. Schrittgeschwindigkeit ist bereits zu hoch“, so das Gericht.

Der klagende Fahrer sei jedoch nachweislich mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 Kilometer pro Stunde quasi „blind“ nach rechts in die Vorfahrtsstraße abgebogen. Er sei daher zunächst einmal allein für den Unfall verantwortlich.

Verletzung des Rücksichtnahmegebots führt zur Mithaftung

Der Beklagte hafte dennoch aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs. Dies liege bei einer Quote von 25 Prozent. Denn er sei zum Zeitpunkt der Kollision nachweislich auf der Fahrbahnmitte gefahren. Damit habe er gegen das Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme gemäß § 1 Satz 1 StVO (Straßenverkehrsordnung) verstoßen.

Das grundlose Befahren der linken Fahrbahnhälfte erhöhe die Betriebsgefahr eines Kfz. Das sei auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt. Im Falle eines Unfalls greife daher eine Mithaftung. Das Gericht ließ keine Revision gegen seine Entscheidung zu.

Kostenschutz bei Mithaftung

Tipp: Wie der Fall zeigt, muss nicht immer automatisch der Hauptverursacher eines Unfalles den Schaden des Unfallgegners allein übernehmen. Gibt es bezüglich der Haftungsfrage Probleme, hilft eine bestehende Verkehrsrechtsschutz-Police weiter. Denn sie übernimmt, wenn der Versicherer eine Leistungszusage gibt, die Kosten für die Geltendmachung der eigenen Schadenersatzansprüche beim Unfallgegner per Anwalt und wenn nötig auch vor Gericht.

Wird bei einem Unfallbeteiligten eine Mithaftung am Unfall, sei es auch nur im Rahmen der Betriebsgefahr des Kfz, vom Gericht festgelegt, wie im Falle des Beklagten im genannten Streitfall, muss dessen Kfz-Haftpflichtversicherung anteilig den Schaden des anderen übernehmen. Zudem erhält der Unfallbeteiligte, der eine Mithaftung trägt, seinen eigenen Schaden ebenfalls nur anteilig ersetzt.

Wer als Unfallbeteiligter die Reparaturkosten seines Autos – wie im genannten Gerichtsfall – bei einem Mithaftung nur teilweise oder bei einer alleinigen Unfallschuld gar nicht bezahlt bekommt, muss dennoch nicht auf seinen Schadenskosten sitzen bleiben. Eine bestehende Vollkasko-Versicherung leistet nämlich unter anderem für fahrlässig verursachte Unfallschäden am eigenen Fahrzeug, für die der Pkw-Halter/-Fahrer ganz oder teilweise selbst aufkommen muss.

Allerdings kommt es dann auch zu einer Höherstufung des Schadenfreiheitsrabatts in der Vollkasko-Police. Je nach Schadenhöhe kann es sinnvoll sein, beim Kfz-Versicherer nachzufragen, ob es langfristig gesehen besser ist, den Schaden aus der eigenen Tasche zu zahlen oder über die Vollkaskoversicherung abzurechnen.

Quelle: (verpd)

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